Daniel Baumann

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Daniel Baumann leitet das Wirtschaftsressort der Frankfurter Rundschau. Er schreibt hauptsächlich über Gesundheitswirtschaft sowie die Chemie- und die Ernährungsindustrie.

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Евгений Юрьевич Старостенко Es geht auch anders, Homo electronicus

„Konsumieren, wegwerfen, konsumieren, wegwerfen. Das hat nicht nur keinen Sinn mehr, es ist auch nicht mehr machbar“, sagt Hug de Larauze. © Privat

Was bleibt, wenn die Menschheit mal nicht mehr ist? Elektroschrott? Der Franzose Thibaud Hug de Larauze sagt der Wegwerf-Epidemie den Kampf an. Investoren finden das ziemlich genial.

Jedes Jahr ein neues Smartphone, alle drei Jahre ein neuer Computer. Das muss schon sein. Zwischendurch noch einen smarten Lautsprecher gekauft, den Teigmixer geschrottet, den Staubsauger ersetzt und die Drohne gecrasht. Der Homo electronicus produziert eine Menge Müll. 50 Millionen Tonnen, um genau zu sein. Jährlich, selbstverständlich.

Das rasante, moderne Leben endet oft auf einer Müllkippe. Auch das natürlich globalisiert. Was aus China kommt, wird zwar nicht nach China zurückgeschickt, schippert dafür aber in Containern über die Weltmeere und landet in der Regel schließlich in Afrika. Die Bilder von der rauchenden Müllkippe in Accra, wo barfüßige Kinder Rohstoffe aus den brennenden Elektrogeräten fischen, sind berühmt. Symbol der Folgen eines grassierenden Konsumfiebers. Muss das so sein? Oder geht das besser?

Back Market-Gründer entdeckt Wiederaufbereitung zufällig

Das geht besser, findet Thibaud Hug de Larauze. Der 31-jährige Franzose ist Geschäftsmann. Cool, frisch, authentisch. Und er findet, dieser ganze vermeintliche Müll ist Geld wert. Eine Menge Geld. Seine Investoren finden das auch. Zuletzt haben sie 41 Millionen Euro locker gemacht. Für das Ebay, das Amazon einer besseren Welt.

Hug de Larauze ist blindlings in diese Welt hineingestolpert. Und selbst als er längst drin war, ahnte er nicht im Leisesten, womit er es eigentlich zu tun hatte. Bis zu dem einen Fabrikbesuch, der alles veränderte. Seit Monaten schon hatte Hug de Larauze vier Betrieben geholfen, wiederaufbereitete Smartphones und Computer zu verkaufen. Er tat das aus der Ferne, auf Onlinemarktplätzen und ohne jemals einen der Betriebe von innen gesehen zu haben. Der Besuch in der südwestfranzösischen Region Nouvelle-Aquitaine öffnete ihm die Augen. Er wanderte durch hochreine Räume, traf auf zertifizierte Vollprofis und beobachtete, wie gebrauchte Geräte geprüft, gereinigt und erneuert wurden. Es gab eine Kundenbetreuung und Garantien für die Käufer. Alles so, als würde das Gerät frisch aus der Fabrik kommen. „Alles war wirklich sehr beeindruckend“, sagt Hug de Larauze im Gespräch mit der FR. „Das war der Moment, in dem ich geschockt war.“

Top-Handys inmitten von Elektroschrott

Von der Öffentlichkeit unbemerkt, war eine Wiederaufbereitungsindustrie entstanden. Eine Antwort auf das Elektromülldesaster. „Die Unternehmen sind dabei, eine richtige Revolution zu machen, die unverzichtbar ist für den Planeten“, sagt Hug de Larauze. „Konsumieren, wegwerfen, konsumieren, wegwerfen. Das macht nicht nur keinen Sinn mehr, es ist auch nicht mehr machbar.“ Stattdessen werden die Produkte erneuert und mit Garantien wieder in den Warenkreislauf gebracht. Meist zu günstigeren Preisen als Neuware.

Wäre da nicht dieses eine Problem, aus dem Hug de Larauze seine Chance machte: Die Wiederaufbereiter mussten ihre sorgsam erneuerten Geräte im Netz auf den gleichen Wühltischen anbieten, auf denen auch der restliche Elektroschrott gehandelt wurde. Die Verbraucher erkannten den Mehrwert nicht, der ihnen geboten wurde.

Die Konkurrenz

Die Idee, alte Geräte anzukaufen, zu reinigen und zu reparieren, ist nicht neu. In Deutschland machen das zum Beispiel die Händler Rebuy und Asgoodasnew. Rebuy wurde bereits 2009 in Berlin gegründet und hat nach eigenen Angaben in Europa mehr als fünf Millionen Kunden. Es beschäftigt 550 Mitarbeiter in Österreich, Frankreich, den Niederlanden, Großbritannien, Italien und Spanien. Asgoodasnew wurde 2008 gegründet und hat seinen Hauptsitz in Frankfurt an der Oder. Es ist mit 120 Mitarbeitern und einigen Hunderttausend Kunden deutlich kleiner als Rebuy.

Der Handel mit Gebrauchtem floriert im Internet. Außerhalb des Elektronikgeschäfts sind etwa die Plattformen Mamikreisel für Kindersachen bekannt oder Vite en vogue für Designermode. Booklooker hat sich auf Bücher, Hörbücher, Filme, Musik und Spiele spezialisiert. Und auf Ebay und Ebay Kleinanzeigen wird ohnehin fast alles gehandelt, was anderswo nicht mehr gebraucht wird.

Das klassische Saure-Zitronen-Problem: Wenn der Kunde die Qualität eines Produktes nicht erkennen kann, richtet sich seine Zahlungsbereitschaft nach dem Preis für das Produkt mit der schlechtesten Qualität. Der ganze Wettbewerb läuft nur über den Preis. Ausgetauschte Batterie? Zwölf Monate Garantie? Nichts wert. Ein Fiasko für die Verkäufer hochwertiger Ware. Sie erreichen die Marge nicht, die sie erreichen müssten, um ihr Geschäft erfolgreich zu betreiben und gehen pleite. Ein Fiasko aber auch für die Verbraucher, die ein gutes Produkt nicht nur nicht erkennen, sondern unwissentlich dafür sorgen, dass es mittelfristig am Markt nicht mehr angeboten wird.

Was Ökonom George Akerloff vor knapp 50 Jahren anhand des noch sehr analogen Gebrauchtwagenmarktes aufzeigte, behält auch im Internetzeitalter seine Gültigkeit. Und schreit nach einem, der das Problem löst: Back Market war geboren. Im November 2014. „Ich habe gesagt: Wir bauen einen Marktplatz, auf dem wir alle Firmen zusammenbringen“, erzählt Hug de Larauze. „Wir legen die Qualitätsstandards fest, wir überprüfen die Firmen und wir stimulieren die Nachfrage.“ Der Verbraucher soll lernen, dass so gut wie neu eine geile Sache ist. „Hi Leute, hört auf, Neues zu kaufen. Kauft Erneuertes.“

Und die Leute hörten. Und hören immer öfter. Mehr als eine Million Kunden hat Back Market laut eigenen Angaben inzwischen. Anfangs seien es Sparfüchse und Umweltbewusste gewesen. Inzwischen verbreitere sich die Kundenbasis, sagt der Gründer. Immer mehr Menschen, vom 18- bis zum 90-Jährigen, realisierten, dass es einfach ein schlauer Deal sei, erneuerte Ware zu kaufen. Genauer will sich Hug de Larauze nicht in die Bücher schauen lassen. Wie viele Geräte bereits verkauft wurden? Lässt er offen. Doch das Unternehmen expandiert: von Frankreich aus ging es nach Belgien, Spanien, Deutschland und in die USA.

Aber woher kommen eigentlich die gebrauchten Geräte? Wer sich schon immer wunderte, warum sein Telekommunikationsanbieter den gebrauchten Router oder das gebrauchte Smartphone zurückhaben will, bekommt hier die Antwort: Die Ware wird an die Wiederaufbereiter verkauft. Ähnlich bei den Elektronikhändlern, die ihren Kunden gleich noch eine Versicherung anbieten und bei einem Defekt das Gerät gegen ein neues tauschen. Doch Hug de Larauze will auch in dieses Geschäft. In Frankreich bietet er den Kunden bereits den Kauf ihrer alten Geräte an. „Das funktioniert sehr gut“, sagt er. Ganz zufrieden ist er aber noch nicht. „Es ist noch nicht wirklich ein Reflex in den Köpfen der Verbraucher, ein Produkt zu verkaufen, wenn sie es nicht mehr benötigen. 80 Prozent der Verbraucher heben die Geräte auf.“

Erneuerte Handys und Tablets sind günstiger

Auch die Deutschen. In jedem Haushalt gibt es im Durchschnitt zwei alte Geräte, die sinnlos herumliegen. Das hat eine Umfrage des Branchenverbandes Bitkom ergeben. Das summiert sich auf 32 Millionen Stück. Zehn Millionen mehr als noch 2014. „Die einen wollen das Altgerät als Ersatz aufheben“, erläutert Bitkom-Umweltexpertin Katharina Eylers. Andere wiederum wüssten einfach nicht, wie sie die Daten auf dem alten Gerät vollständig löschen können, und höben es deshalb aus Sicherheitsgründen auf. Oder sie wüssten nicht, wo und wie sie das Altgerät entsorgen können. Wer sein Altgerät entsorgt, bringt es entweder zu einer Sammelstelle für Elektronikmüll, zu einem Händler oder verschenkt es. Nur sieben Prozent verkauften es und kamen damit auf die Idee, dass etwas, das für sie wertlos ist, für jemand anderen noch Wert haben könnte. Schließlich sind die Geräte oft nicht einmal defekt, sie sind nur nicht mehr der letzte Schrei.

„Das ist die programmierte psychologische Obszoleszenz“, sagt Hug de Larauze. „Mit der Werbung und den Hunderten Millionen Euro, die die Hersteller dafür ausgeben, wird den Kunden eingeredet, dass ihr Produkt veraltet ist und sie ein neues bräuchten. Wir kämpfen dagegen.“ Die Chancen für Back Market hält der Gründer für riesig. Wie groß der Markt sei? „Unendlich wäre übertrieben“, sagt er schelmisch. „Aber tatsächlich entspricht er der Größe des Marktes für Neuware. Das sind mehrere Hundert Milliarden Euro. Bis zum Jahr 2022 sollen jährlich wiederaufbereitete Produkte im Wert von mehr als 50 Milliarden Euro verkauft werden. Aber für mich ist das winzig im Vergleich zu den neuen Produkten.“

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Groß träumen, groß denken, das scheint ohnehin das Motto von Hug de Larauze zu sein. Für ein Onlinevideo wurde er gefragt, was er nach Smartphones, Laptops, Mikrowellen und Bierzapfanlagen eines Tages gerne mal aufbereiten würde. „Flugzeuge“, antwortete er ganz gelassen. Bewunderung empfindet er für James Dyson, den britischen Designer und Erfinder, der den Staubsauger revolutionierte und jetzt sogar Elektroautos bauen will.

Bei der Wiederaufbereitung will es Hug de Larauze denn auch nicht belassen. Nein, die Produkte sollen eines Tages nicht nur erneuert, sondern auf ein neues technisches Niveau gehoben werden. „Das ist unser Traum. Das ist unsere Vision“, sagt der Gründer. Zunächst gebe es zwar noch genug zu tun, um dafür zu sorgen, dass die Produkte so lange genutzt würden wie nur möglich. Schließlich sei die Gleichung einfach: Je länger die Nutzung, desto geringer der Umwelteinfluss. „Aber in Zukunft – und diese Gespräche führen wir bereits mit ersten Fabriken – wollen wir schauen, ob man die Produkte nicht auch upgraden kann – zum Beispiel, wenn jemand nur die Kamera des Smartphones tauschen will statt das ganze Gerät. Das wird schwierig, der Weg ist lang, aber wir haben nicht wirklich eine Wahl, wir müssen den Weg gehen.“